Orthomolekulare Medizin bei Lipödem und chronischer Entzündung
Viele Patientinnen mit Lipödem leiden unter chronischen Schmerzen, Entzündungen und einem beeinträchtigten Lebensgefühl. Die orthomolekulare Therapie bei Lipödem setzt genau hier an: Durch gezielte Gabe von Vitaminen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen sollen Entzündungsprozesse gebremst, das Gewebe gestärkt und Beschwerden gelindert werden. In diesem Artikel zeigen wir, welche Mikronährstoffe besonders häufig eingesetzt werden – und warum sie eine sinnvolle Ergänzung im ganzheitlichen Behandlungskonzept sein können.

Medizinisch geprüft von:
Dr. Hamidreza Mahoozi, FEBTS, FCCP
Erstveröffentlichung:
Juli 11, 2025
Aktualisiert:
August 25, 2025
Häufig eingesetzte Mikronährstoffe und ihre Wirkmechanismen
Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA): Omega-3-Fischöl wird in der Orthomolekularmedizin häufig genutzt, da es stark entzündungshemmend wirkt . EPA und DHA (z. B. aus Fischöl) reduzieren die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine durch eine geringere Aktivierung von Immunzellen (wie Gewebsmakrophagen).
Außerdem fördern sie die Bildung spezialisierter pro-resolving Mediatoren wie Resolvine und Maresine, welche Entzündungen aktiv zurückbilden.
Diese Mediatoren beeinflussen unter anderem TRP-Ionenkanäle, was für die Schmerzlinderung bedeutsam ist (bei Lipödem leiden ~80 % der Betroffenen an Schmerzen) . Dosierung: Empfohlen wird eine tägliche Aufnahme von mindestens 1 g EPA+DHA, initial ggf. bis ~2 g/Tag, um entzündliche Prozesse und Schmerzen zu modulieren. Mechanismus: Entzündungshemmung durch weniger Zytokine und Bildung von Resolvinen (schmerzlindernd) .
Vitamin D: Das fettlösliche Vitamin D gilt als immunmodulatorisch und wichtig für einen gesunden Fettgewebsstoffwechsel. Bei Lipödem-Patientinnen findet sich – analog zur Adipositas – häufig ein Vitamin-D-Mangel . Entzündetes Fettgewebe „bindet“ 25(OH)Vitamin D, sodass weniger aktive Form verfügbar ist .
Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel korrelierte in einer Studie mit verstärkter depressiver Verstimmung und Ängstlichkeit bei Lipödem-Betroffenen , was die Bedeutung für das Allgemeinbefinden unterstreicht. Dosierung: Integrative Experten raten, den 25(OH)D-Spiegel im Blut zu kontrollieren und ggf. zu supplementieren, um einen Normbereich (ca. 50 nmol/L) zu erreichen .
In der Praxis werden oft 1.000–2.000 I.E. Vitamin D3 täglich eingesetzt , wobei höherdosierte Gaben (z. B. 4.000 I.E.) nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen sollten (siehe Risiken). Mechanismus: Vitamin D wirkt entzündungsregulierend und fördert die normale Funktion des Fett- und Immunsystems; bei Mangel verschlechtert sich die Gewebegesundheit .
Antioxidantien (Vitamin C und Polyphenole): Vitamin C (Ascorbinsäure) besitzt eine doppelte positive Wirkung: Als Antioxidans fängt es reaktive Sauerstoffradikale ab und mildert so oxidativen Stress und Entzündungen . Zudem unterstützt Vitamin C die Kollagensynthese , was wichtig für Bindegewebe, Kapillarstabilität und Heilungsprozesse ist.
Dies ist relevant, da beim Lipödem auch das Bindegewebe betroffen ist (Neigung zu Hämatomen, schwaches Bindegewebsgerüst). Dosierung: Empfohlen werden 500–1.000 mg Vitamin C pro Tag (z. B. aufgeteilt in zwei Dosen à 500 mg). Hohe Dosen sind in der Regel gut verträglich; interessant ist, dass in einer Studie hohe Vitamin-C-Gaben neuropathische Schmerzen bei Diabetikern lindern konnten – ein möglicher Hinweis, dass es auch bei Lipödem-Schmerzen hilfreich sein könnte.
Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe, z. B. aus grünem Tee, Beeren, Oliven) wirken ebenfalls antioxidativ und teilweise entzündungshemmend über die Hemmung des NF-κB-Signalwegs . Eine polyphenolreiche Kost (z. B. mediterrane Ernährung) kann niedriggradige Entzündungen reduzieren.
Bestimmte Polyphenole wie Oleuropein (aus Olivenblatt/Olivenöl) oder Curcumin (Kurkuma) zeigen in Studien eine Reduktion von NF-κB und Aktivierung von antioxitativen Enzympfaden (Nrf2) . Dadurch werden weniger Entzündungsmediatoren gebildet und Schmerzen gelindert.
Etwa in rheumatischen Erkrankungen (z. B. Arthrose, Rheumatoide Arthritis) führte eine polyphenolreiche Ernährung/Supplementation zu Schmerzbesserung bei ~65 % der Patienten und weniger Entzündungsmarkern – Erkrankungen, die in gewissem Maße vergleichbare Entzündungsprozesse wie das Lipödem aufweisen. Dosierung: empfohlen wird eine tägliche Aufnahme von ~100–150 mg verschiedener Polyphenole (über Ernährung und ggf. Extrakte).
Praktisch bedeutet dies z. B. regelmäßig Beerenobst, grünen Tee, Kurkuma, Olivenöl etc. einzusetzen oder standardisierte Extrakte (wie Quercetin-, OPC- oder Kurkuma-Präparate) in genannter Dosis. Mechanismus: Stark antioxidativ; Hemmung des NF-κB-Entzündungswegs und Schutz vor oxidativem Gewebestress .
Weitere wichtige Mikronährstoffe: Neben den obigen werden in der orthomolekularen Therapie bei Lipödem noch verschiedene Vitamine und Spurenelemente betrachtet:
- Vitamin B12: Viele Lipödem-Patientinnen klagen über Schmerzen mit neuropathischer Komponente (Missempfindungen, Druckschmerz). Vitamin B₁₂ (Cobalamin) unterstützt Nervenregeneration und -funktion. In einem Review wurde Vitamin B₁₂ eine schmerzlindernde Wirkung bei Neuropathien zugeschrieben .
Orthomolekularmediziner empfehlen, den B₁₂-Status (Holotranscobalamin) zu prüfen und Werte im oberen Normalbereich anzustreben . Dosierung: Bei Bedarf werden hochdosierte Gaben (500–1000 µg/Tag) eingesetzt , da B₁₂ als wasserlösliches Vitamin überschüssig ausgeschieden wird. (Eine aktuelle Studie mit 243 Lipödem-Patientinnen fand allerdings keinen direkten Zusammenhang zwischen niedrigen B₁₂- bzw. D-Spiegeln und dem Auftreten neuropathischer Schmerzen , sodass B₁₂ eher bei nachgewiesenem Mangel supplementiert werden sollte). - Magnesium: Wird von Betroffenen häufig eingenommen, etwa zur Muskelentspannung und gegen Krämpfe. Magnesium unterstützt die Muskelfunktion und Energiestoffwechsel und könnte indirekt zur Schmerzreduktion beitragen (z. B. bei Muskelverspannungen).
Ein direkter Effekt auf das Lipödem-Leiden ist zwar nicht belegt , aber Magnesiummangel sollte vermieden werden. Da Serum-Magnesium oft unzuverlässig ist, wird integrativ meist Vollblut-Magnesium bestimmt . Dosierung: Typisch sind 300–400 mg Magnesium/Tag (z. B. Magnesiumcitrat) , insbesondere wenn laborchemisch ein Mangel oder erhöhter Bedarf vorliegt. - Selen: Selen ist Cofaktor wichtiger antioxidativer Enzyme (Glutathionperoxidase) und unterstützt das Immunsystem. In einer Untersuchung an 198 Lipödem- und 168 Lipo-Lymphödem-Patientinnen zeigte sich auffallend häufig ein Selenmangel .
Da aber auch in der Normalbevölkerung – je nach Region – oft Selenunterversorgung besteht, ist unklar, ob ein Selenmangel ursächlich mit Lipödem zusammenhängt . Orthomolekular wird empfohlen, Selen im Blut zu messen und nur bei nachgewiesenem Mangel zu ergänzen . Dosierung: Falls Supplementierung, meist 50–100 µg/Tag (z. B. als Selenhefe) – entsprechend dem Tagesbedarf . Hinweis: Selen sollte nicht „blind“ hochdosiert eingenommen werden, da Überdosierungen toxisch wirken können (Haarausfall, brüchige Nägel u.a.). - Zink: Zink ist an der Regulierung des Immunsystems und als Antioxidans (Bestandteil von Superoxiddismutase) beteiligt. Ein gravierender Zinkmangel kann Entzündungsprozesse verstärken. Häufig wird Zink in der orthomolekularen Diagnostik mitbestimmt, allerdings besser aus Vollblut, da ~80 % des Körperzinks in den Blutzellen gebunden sind .
Dosierung: Übliche Supplementierungen liegen bei 10–30 mg Zink/Tag (z. B. als Zinkcitrat), wenn ein Mangel oder erhöhter Bedarf (etwa bei chronischer Entzündung oder Wundheilungsstörungen) festgestellt wurde. - Weitere Vitalstoffe: Je nach individueller Lage können auch Vitamin A (antioxidativ, für Haut/Schleimhaut und Immunabwehr), Vitamin E (antioxidativ, Gefäßschutz) oder Vitamin K (für Gefäßgesundheit und Gerinnung) eine Rolle spielen.
Diese werden jedoch seltener gezielt für Lipödem empfohlen, außer es besteht ein konkreter Mangel. Ein Sonderfall aus der Pflanzenheilkunde ist Diosmin/Hesperidin (Bioflavonoide aus Citrusfrüchten): Diese gelten als venentonisierend und antioxidativ. In der Gefäßmedizin werden sie erfolgreich bei chronisch-venöser Insuffizienz eingesetzt und konnten oxidativen Stress reduzieren sowie Ödeme und Schmerz verringern.
In manchen Leitlinien wird Diosmin auch als unterstützende Therapie bei Lipödem diskutiert , da es die Mikrozirkulation verbessert und Kapillarbrüchigkeit vermindert (Lipödem-Patientinnen neigen zu blauen Flecken) .
Wissenschaftliche Studienlage zur Wirksamkeit
Spezifische Studien zur orthomolekularen Therapie bei Lipödem sind bislang rar – das Feld ist noch in Entwicklung.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit (2022) betont, dass die vorliegenden Evidenzen begrenzt sind und weitere Forschung dringend nötig sei . Dennoch lassen sich einige Erkenntnisse anführen:
- Reviews und Kasuistiken: Cannataro & Cione (2022) identifizierten Omega-3-Fettsäuren, Polyphenole und Vitamin C als die „vielversprechendsten“ Supplemente bei Lipödem . Ihre Empfehlungen basieren auf biochemischer Plausibilität, Erkenntnissen aus ähnlichen Krankheiten und einem eigenen Fallbericht.
In diesem Case Report wurde ein multimodales Programm inkl. ketogener Diät und Nahrungsergänzungen über 22 Monate verfolgt; u. a. mussten Vitamin D und C ergänzt werden, was mit einer Verbesserung von Symptomen und Entzündungsparametern einherging . Konkrete Lipödem-Parameter (z. B. Schmerz, Beinvolumen) besserten sich in solchen Fallberichten, doch fehlen Kontrollgruppen. - Niedriggradige Entzündung: Da Lipödem-Patientinnen oft an einer subklinischen chronischen Entzündung leiden (z. B. zeigen Gewebebiopsien Makrophageninfiltration und erhöhte Entzündungsmediatoren ), stützt man sich auf Studien zu vergleichbaren Entzündungszuständen.
In rheumatologischen Studien ist z. B. gut belegt, dass Omega-3-Fettsäuren Entzündungsmarker wie TNF-α, IL-6 und CRP senken und klinische Symptome (Schmerz, Steifigkeit) lindern.
Vitamin D wiederum wurde in Beobachtungsstudien mit niedriggradiger Entzündung und Adipositas in Verbindung gebracht: Ein höherer Vitamin-D-Status korreliert oft mit niedrigeren Entzündungsmarkern und besserer Insulinsensitivität. Gerade im Fettgewebe spielt Vitamin D eine Rolle – Kuda et al. 2018 zeigten, dass EPA/DHA-Gaben bei übergewichtigen Personen die Adipozytenfunktion verbessern und die proinflammatorische Makrophagen-Aktivierung dämpfen. - Lipedem-spezifische Untersuchungen: Eine österreichische Studie (2024) untersuchte 213 Lipödem-Patientinnen vor und nach Fettabsaugung (Liposuktion) hinsichtlich Vitamin D.
Ergebnis: Bereits präoperativ hatten die Patientinnen tendenziell niedrigere Vitamin-D-Spiegel als Gesunde; nach der Liposuktion sank der Spiegel signifikant weiter ab . Dies legt nahe, dass große Fettentfernungen Vitamin D „mit entfernen“ bzw. dessen Verteilung verändern. Die Autoren regen weitere Forschung an, ob eine Vitamin-D-Supplementierung vor/nach Liposuktion sinnvoll ist. – Ein anderes Team untersuchte den Zusammenhang von Vitamin D, Vitamin B₁₂ und neuropathischen Schmerzen bei Lipödem (243 Patientinnen; 2025 publiziert).
Obwohl ein großer Anteil der Patientinnen Vitamin-D- und B₁₂-Defizite aufwies, zeigte die Auswertung keine statistische Korrelation zwischen den Vitaminen und dem Auftreten von Nervenschmerzen . Die Autoren schließen, dass isoliert betrachtet weder Vitamin D noch B₁₂ eindeutig für das Schmerzgeschehen verantwortlich sind – es könnten also andere Faktoren (oder komplexere Wechselwirkungen) im Spiel sein. - Ernährungsstudien: Ergänzend sei erwähnt, dass antiinflammatorische Ernährungsformen (ohne gezielte Einzel-Supplements) Erfolge zeigen: Eine kleine Pilotstudie und mehrere Fallserien zur ketogenen Diät bei Lipödem berichteten über Gewichtsverlust, weniger Ödeme, Schmerzreduktion und verbesserte Lebensqualität.
Diese Effekte werden teilweise auf die Reduktion von Entzündungsprozessen durch Ketonkörper und den Wegfall proinflammatorischer Lebensmittel (Zucker, Weizen etc.) zurückgeführt .
Da eine ketogene Kost automatisch sehr reich an Omega-3 (viel Fisch), Antioxidantien (Gemüse) und Proteinen ist, passt dies zum orthomolekularen Ansatz, über Nährstoffe die Entzündung zu kontrollieren. Allerdings sind kontrollierte Studien hierzu noch ausstehend.
Insgesamt gilt: Direkte Wirksamkeitsnachweise orthomolekularer Therapien beim Lipödem stehen noch am Anfang. Viele Empfehlungen beruhen auf Analogien zu ähnlichen Krankheiten (chronische Entzündungen, Lymphödem, Adipositas, Arthritis) und pathophysiologischen Überlegungen.
Die vorhandenen Studien deuten an, dass eine Optimierung des Mikronährstoffstatus zumindest keinen Schaden verursacht und durchaus positive Effekte auf Symptome und Begleiterkrankungen haben kann.
Aussagen über die Heilung des Lipödems durch Mikronährstoffe wären aber verfrüht – Supplemente können allenfalls unterstützend „einige Aspekte mildern, insbesondere die schmerzhaften Manifestationen, die vermutlich mit dem entzündlichen Zustand zusammenhängen“. Um die Effektivität klar zu belegen, wären gezielte Interventionsstudien notwendig, die bislang fehlen .
Empfehlungen und Bewertungen aus Fachkreisen
Integrative Medizin und Ernährungsmedizin: In der ganzheitlichen Praxis wird meist ein individuelles Mikronährstoff-Profil erstellt. Dazu gehören Labortests von Blutwerten (z. B. 25(OH)-Vitamin D, Holotranscobalamin für B₁₂, Vollblut-Magnesium, Selen im Serum, etc.), um Defizite oder Mehrbedarfe aufzudecken .
Fachgesellschaften der orthomolekularen Medizin betonen, dass pauschale „Megadosis“-Therapien ohne Diagnose nicht zielführend sind – vielmehr soll eine maßgeschneiderte Supplementierung erfolgen .
Häufig genannte Basismikronährstoffe bei Lipödem sind dabei Vitamin D, Omega-3 und Antioxidantien, ggf. ergänzt um B-Vitamine und Mineralstoffe. So empfiehlt etwa eine aktuelle Veröffentlichung, Omega-3 und Vitamin C routinemäßig zu geben (wegen ihres breiten Nutzens), und zusätzlich Vitamin D, B₁₂, Polyphenole und Magnesium – jedoch stets erst nach Überprüfung der Ausgangswerte und Ernährungssituation.
Integrative Mediziner sehen in der orthomolekularen Therapie eine wichtige Säule im Behandlungskonzept: Zwar könne man ein Lipödem damit nicht heilen, aber durchaus Symptome lindern, Entzündungen bremsen und die Lebensqualität verbessern, besonders in Kombination mit Ernährungsumstellung und physikalischer Therapie.
Gefäß- und Lymphologie-Fachkreise: Die konservative Lipödem-Behandlung stützt sich primär auf Lymphdrainage, Kompression und Bewegungstherapie. Nahrungsergänzungen werden in Leitlinien bislang zurückhaltend erwähnt. Allerdings ändern neuere Leitlinien und Expertenkonsensus ihre Sicht: Die US-„Standard of Care“ für Lipödem (2021) empfiehlt, Mikronährstoffe gezielt zur Entzündungshemmung, Fibrose-Reduktion und Schmerztherapie einzusetzen.
Dabei wird insbesondere betont, den Vitamin-D-Spiegel zu überwachen und zu normalisieren (Empfehlungsgrad C) , da Vitamin D bei Lipödem-Patientinnen oft niedrig ist und allgemein mit Adipositas/Entzündung assoziiert ist . Außerdem wird der Einsatz von Diosmin/Hesperidin als ergänzende Maßnahme (zur Ödem- und Schmerzreduktion) zur Diskussion gestellt – mit dem Hinweis, dass positive Erfahrungen aus der Venentherapie vorliegen, obwohl für Lipödem noch formelle Studien fehlen.
Deutschsprachige Leitlinien (z. B. die neue S2k-Leitlinie Lipödem 2023) widmen der Ernährung mittlerweile ein eigenes Kapitel: Eine antientzündliche Diät (mediterran oder ketogen) wird dort als empfehlenswert genannt, um Entzündungsprozesse zu reduzieren .
Konkrete Vitamin- oder Spurenelement-Empfehlungen enthält die Leitlinie aber (noch) nicht – sie verweist jedoch auf Studien, die etwa bei ketogener Ernährung Entzündungsmarker senken und Schmerzen verringern konnten .
Kritische Stimmen: Schulmedizinische Experten mahnen zur Nüchternheit: Orthomolekulare Ansätze sollten keine Alleinbehandlung des Lipödems darstellen, sondern allenfalls als unterstützend betrachtet werden.
Es fehle an großen Studien, und einige Behauptungen der Nahrungsergänzungs-Branche seien wissenschaftlich nicht belegt. Beispielsweise existiert kein Wundermittel in Vitaminpillen-Form, das die Lipödem-Fettansammlungen „wegschmilzt“. Fachleute wie das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnen insbesondere vor unkontrollierter Hochdosis-Einnahme bestimmter Präparate: So können langfristig überhöhte Vitamin-D-Dosen (z. B. >4.000 I.E. täglich) paradoxerweise negative Effekte haben – Studien zeigten u. a. vermehrte Stürze und eine Abnahme der Knochendichte bei älteren Menschen unter zu viel Vitamin D . Das BfR empfiehlt Verbrauchern ohne Arztkontrolle maximal 20 µg (800 I.E.) Vitamin D pro Tag zu nehmen.
Auch betont es, dass hochdosierte Kombipräparate (etwa Vitamin D + K2 in großen Mengen) nicht ausreichend auf Sicherheit untersucht sind . – Ähnlich gibt es bei Omega-3 warnende Hinweise: Dosen über 3–5 g/Tag können die Blutgerinnung beeinflussen (verlängerte Blutungszeit) und bei disponierten Personen das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen . Daher rät das BfR, nicht mehr als ~1,5 g Omega-3-Fettsäuren pro Tag insgesamt (inkl. Nahrung) ohne ärztliche Rücksprache aufzunehmen.
Besonders bei gleichzeitiger Einnahme von Gerinnungshemmern (z. B. ASS, Marcumar) oder vor Operationen ist Vorsicht geboten, da Omega-3 die blutverdünnende Wirkung verstärken kann.
– Fazit der Fachkreise: Eine ausreichende Versorgung mit Mikronährstoffen wird als wichtig erachtet (Mangelzustände vermeiden!), aber eine pauschale Hochdosis-Supplementierung nach dem Gießkannenprinzip wird skeptisch gesehen. Vielmehr sollten Nahrungsergänzungen individuell und zielgerichtet – am besten in Absprache mit medizinischen Experten – eingesetzt werden.
Praktische Anwendungshinweise
Kombinationen und Therapieprotokolle: In der Praxis orthomolekularer Therapien bei Lipödem werden meist Kombinationen mehrerer Mikronährstoffe verabreicht, um synergetische Effekte zu erzielen.
Ein typisches Basis-Protokoll könnte z. B. aussehen: Omega-3-Fischöl (EPA/DHA) plus Vitamin D3 täglich, dazu ein Antioxidantien-Komplex (Vitamin C, Vitamin E, ggf. Coenzym Q10 oder Traubenkernextrakt) sowie je nach Bedarf Magnesium abends (zur Muskelentspannung) und ein Vitamin-B-Komplex. Diese Kombination zielt darauf ab, gleichzeitig Entzündungen zu dämpfen, oxidativen Stress zu reduzieren und Nerven/Muskeln zu unterstützen.
Beispielsweise wird Omega-3 häufig zusammen mit Vitamin D und Vitamin K2 angeboten – letzteres soll die Calciumverwertung steuern, wobei laut BfR der Zusatz von K2 zwar gängig, aber wissenschaftlich noch nicht als Nutzen belegt ist . Vitamin C und E werden gern kombiniert, da Vitamin C das oxidierte Vitamin E regenerieren kann (antioxidative Synergie). In schweren Fällen oder bei vielen Defiziten setzen einige TherapeutInnen auf Infusionstherapien („Vitamine in die Vene“), um hohe Dosierungen direkt verfügbar zu machen.
Hierbei werden individuell zusammengestellte Mischungen (z. B. hochdosiertes Vitamin C zusammen mit B-Vitaminen, Magnesium und Spurenelementen) per Tropf gegeben. Vorteil: Umgehung des Verdauungstrakts, sofortige Verfügbarkeit; Nachteil: kostenintensiv und nur unter ärztlicher Aufsicht durchführbar.
Diagnostische Maßnahmen: Vor Beginn einer orthomolekularen Therapie wird idealerweise eine Mikronährstoffanalyse durchgeführt. Dazu gehören Blutuntersuchungen auf gängige Parameter: 25-OH-Vitamin D, Vitamin B12 (plus Holotranscobalamin), Vollblut-Magnesium, Zink und Selen im Vollblut/Serum, ggf.
Vitamin B6, Folsäure, Eisen/Ferritin sowie CRP als Entzündungsmarker. Spezialtests wie der Omega-3-Index (Bestimmung des EPA/DHA-Anteils in der Erythrozytenmembran) können anzeigen, ob ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren vorliegt – dieser wird von einigen Zentren mitbestimmt, da ein niedriger Omega-3-Index auf ein proinflammatorisches Milieu hindeutet.
Anhand der Laborwerte lässt sich ein individuelles Supplementationsschema erstellen, das gezielt die Lücken füllt. Wichtig: Manche Laborparameter erfordern spezifische Messmethoden – z. B. sollten Magnesium und Zink besser in Vollblut gemessen werden, weil Serumwerte oft nur Momentaufnahmen sind .
Auch sollten Referenzbereiche beachtet werden: Integrative Medizin strebt oft „optimale“ Werte im oberen Normbereich an (etwa Vitamin D > 30 ng/ml, Vitamin B12 > 500 pg/ml), was über dem liegt, was klinisch als Mangel definiert ist.
Risiken der Selbstmedikation: Bei aller Verfügbarkeit von Nahrungsergänzungsmitteln ist Vorsicht geboten, wenn Patienten eigenmächtig hochdosiert Mikronährstoffe einnehmen. Mögliche Risiken:
- Hypervitaminosen: Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) können sich im Körper anreichern. Insbesondere Vitamin D kann in Überdosierung zu Hyperkalzämie (erhöhtem Kalziumspiegel) führen.
Symptome reichen von Übelkeit, Schwäche, Herzrhythmusstörungen bis zu Nierenschäden. Fälle von Vitamin-D-Intoxikationen traten auf, als über lange Zeit extreme Dosen eingenommen wurden (z. B. 50.000 I.E. täglich).
Auch Vitamin A in Übermenge verursacht ernsthafte Schäden (Leberzellschädigung, Haarverlust, teratogene Wirkung in der Schwangerschaft). Daher sollten hochdosierte Vitaminpräparate nie ohne Indikation und ärztliche Überwachung langfristig eingenommen werden. - Gerinnungsstörungen: Wie erwähnt, können Omega-3-Fettsäuren in hoher Dosis die Blutgerinnung verlangsamen . Zwar gilt bis ~1 g EPA/DHA pro Tag als unbedenklich, aber bei >3–5 g täglich kann es zu Nasenbluten, Hämatomen oder in Kombination mit Blutverdünnern zu gefährlichen Blutungen kommen . Ebenfalls beeinflussen hohe Dosen Vitamin E (>400 IE) die Gerinnung und sollten vor Operationen pausiert werden.
Vitamin K wiederum kann mit Cumarinen (Marcumar® etc.) interagieren und deren Wirkung abschwächen – Patienten unter solcher Medikation sollten Vitamin-K-haltige Präparate nur nach Rücksprache nehmen. - Mineralstoff-Überdosierung: Selen hat eine geringe therapeutische Breite – mehr als 300 µg/Tag können zu Selenose führen (u. a. Haar- und Nagelausfall, neurologische Störungen).
Zink in sehr hohen Dosen (>50 mg/Tag über längere Zeit) kann die Kupferaufnahme stören und zu einem sekundären Kupfermangel führen sowie die Immunabwehr beeinträchtigen. Eisen sollte nur bei nachgewiesenem Mangel supplementiert werden – Überdosierung verursacht oxidativen Stress und kann Organe schädigen. - Wechselwirkungen und falsche Sicherheit: Eine unkoordinierte Supplementierung birgt das Risiko, andere Therapien zu vernachlässigen.
Patientinnen könnten glauben, allein mit Vitamintabletten das Lipödem „im Griff“ zu haben, und wichtige Maßnahmen wie Kompression, Lymphdrainage, Bewegung oder – bei Adipositas – Gewichtsmanagement vernachlässigen.
Zudem können Wechselwirkungen auftreten: z. B. kann Magnesium in hohen Dosen Durchfall verursachen und die Aufnahme mancher Medikamente verringern; Calciumpräparate können Antibiotika binden; Johanniskraut (pflanzlich, oft gegen Stimmungstief eingenommen) senkt Spiegel diverser Arzneimittel. Orthomolekulare Medizin sollte daher integrativ und informiert betrieben werden, nicht isoliert.
Empfehlung zur sicheren Anwendung: Selbstmedikation sollte idealerweise auf Basis einer Blutuntersuchung erfolgen – viele Apotheken, Hausärzte oder Heilpraktiker bieten Mikronährstoff-Checks an. Anhand der Ergebnisse kann man gezielt die fehlenden Stoffe ergänzen und Überflüssiges weglassen.
Während der Einnahme ist es ratsam, in Abständen die Werte zu kontrollieren, um Überdosierungen zu vermeiden (z. B. alle 3–6 Monate Vitamin D-Spiegel).
Qualitätsgeprüfte Präparate (mit Zertifikaten, möglichst ohne unnötige Zusatzstoffe) sind zu bevorzugen. Im Zweifel sollte immer ein Arzt/Therapeut zu Rate gezogen werden, der sich mit Orthomolekularmedizin auskennt – insbesondere bei hohen Dosierungen.
Wie eine erfahrene Orthomolekular-Therapeutin warnt: Die Therapie ist komplex und muss individuell angepasst sein – sonst kann der Schuss nach hinten losgehen.
Mit fundierter Diagnostik, vernünftigen Dosierungen und begleitender fachkundiger Betreuung lässt sich jedoch die orthomolekulare Medizin beim Lipödem sinnvoll und sicher einsetzen, um Entzündungen und Beschwerden zu mildern.